Landrat für einen Tag

Felix Mülson und Patrick Puhlmann haben im Rahmen des bundesweiten Aktionstags „S(ch)ichtwechsel“ ihre Arbeitsplätze getauscht.

Die Überraschung ist groß gewesen: Als am Donnerstagmittag bei der Verabschiedung von Elimar Brandt als Vorstandsvorsitzender der Borghardtstiftung zu Stendal der Landrat aufgerufen wurde, ist nicht Patrick Puhlmann ans Pult getreten. Er hatte für einen Tag im Rahmen des bundesweiten, inklusiven Aktionstags „S(ch)ichtwechsel“ seinen Arbeitsplatz mit Felix Mülson getauscht. Der 27-Jährige würdigte als „Landrat für einen Tag“ die Verdienste Brandts und klärte die Besucher am Ende seiner Rede über das Projekt auf.

Im normalen Leben ist Mülson Mitarbeiter der Werkstatt für Menschen mit Behinderung der Lebenshilfe Osterburg. Wo er sonst im Alltag in der Küche steht und Essen zubereitet, war für einen Tag Puhlmann zu Gast und hat diese Rolle eingenommen. Die erste Überraschung wartete hier schon am Eingang. Die Speisetafel warb mit „Puhlmanns Spaghetti-Porree-Salat mit Wiener Würstchen“ und Bestellungen seien schon eingegangen, wie das Küchenteam zur Begrüßung sagte. Passend zum Aktionstag erhielt der „Küchenhelfer für einen Tag“ ein „S(ch)ichtwechsel“-Shirt und schon ging es los: Zuerst wurden noch Brötchen für das Frühstück der Werkstatt-Mitarbeiter belegt, danach Gurken, Porree, Zwiebeln und Co für den Salat geschnippelt. Zwischendurch erfolgte die Ausgabe des Frühstücks und zum Mittag dann neben dem eigens hergestellten Salat auch die der warmen Speisen. „Ich finde das eine schöne Aktion, zumal ich, bevor ich Landrat wurde, selbst in der Behindertenhilfe gearbeitet habe. Es macht Spaß, hier zu sein“, so Puhlmann, der erst Feierabend hatte, als Küche und Speiseraum wieder voll gereinigt waren und wie neu glänzten.

Währenddessen hatte Felix Mülson im Büro des Landrates Platz genommen und ließ sich den Terminkalender des Tages vorstellen. Zuerst durfte er beim Scheunenladen die Wirtschaftsjunioren zusammen mit Mädchen und Jungen der Kindertagesstätte Abenteuerland beim Saft mosten unterstützen. Dazu schenkte der den Kindern auch den frischen Saft ein und war selbst überrascht, wie süß dieser ohne die Zugabe von Zucker war. Im zweiten Termin stand ein Besuch der Rettungsleitstelle an. Mülson informierte sich dort über aktuelle Geschehnisse und ließ sich das Aufgabenfeld und die Arbeitsabläufe erklären.

Mülson hält Rede auf Elimar Brandt

Der dritte Halt führte den „Landrat für einen Tag“ zur Borghardtstiftung, wo er in einer Reihe mit Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalts), die ihn in ihrer Rede sogar erwähnte, und Stendals Oberbürgermeister Bastian Sieler seine besten Zukunftswünsche zum Abschied von Elimar Brandt übermittelte. „Im Namen des Landkreises spreche ich Ihnen meinen ausdrücklichen Dank und höchste Anerkennung aus. Mit großem Verantwortungsbewusstsein, strategischem Geschick und sozialem Engagement haben Sie das Wirken der Stiftung maßgeblich geprägt“, sagte Mülson, der seine Rede mit Witz und Betonung nicht besser hätte halten können und dafür viel Zuspruch erhielt.

Dann ging es zurück in die Kreisverwaltung, wo das Tagesgeschäft auf den „Landrat für einen Tag“ wartete. Es stand eine Amtsleiterrunde im Kalender. Hier informierte sich Felix Mülson über aktuelle Entwicklungen im Bereich Digitalisierung, den Stand bei Straßenbauarbeiten sowie Herausforderungen des Schulverwaltungs- und Kulturamtes.

Zum Abschluss kam es im Büro des Landrates zum Aufeinandertreffen der beiden „S(ch)ichtwechsler“. Puhlmann und Mülson tauschten sich über die gemachten Erfahrungen aus. „Am schönsten war der Besuch in der Rettungsleitstelle“, so das Fazit des 27-Jährigen, der sich vorstellen könnte, in anderer Funktion in die Kreisverwaltung zurückzukehren. Mit dem Patrick Puhlmann dann seine Amtsgeschäfte wieder übernommen hatte, bedankte er sich bei Felix Mülson für sein Engagement und Interesse.

„Für unsere Beschäftigten ist das ein tolles Projekt“, erklärte Sarah Maaß. „Sie können auf dem ersten Arbeitsmarkt mal in andere Bereiche schnuppern und so vielleicht eine Idee davon bekommen, wo sie einmal arbeiten wollen“, so die Geschäftsführerin der Lebenshilfe Osterburg weiter.

Hintergrund
Der Aktionstag „S(ch)ichtwechsel“ ist ein bundesweiter inklusiver Aktionstag, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung für einen Tag ihre Arbeitsplätze tauschen mit dem großen Ziel, mehr Verständnis, Teilhabe und Perspektivwechsel in der Arbeitswelt zu schaffen. Menschen ohne Behinderung bekommen Einblicke in die produktive Arbeit in Werkstätten, während Werkstattbeschäftigte neue Tätigkeitsfelder kennen‑ und potenzielle Arbeitgeber kennenlernen.

Der direkte gegenseitige Austausch ermöglicht persönliche Begegnungen und löst teilweise festgefahrene Bilder über Werkstätten oder Arbeitswelten auf beiden Seiten. Die Aktion macht Teilhabe sichtbar und setzt ein öffentliches Zeichen für mehr gesellschaftliche Integration.

Der Aktionstag fördert Begegnung, baut Vorurteile ab und macht die Leistungen von Werkstätten sichtbar – beides wichtige Bausteine für inklusive Teilhabe am Arbeitsleben. Seit 2019 wird der Aktionstag von der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) organisiert; entwickelt wurde die Idee 2017 von Berliner Werkstätten.

Weitere Bilder zum „S(ch)ichtwechsel“ gibt es auf der Facebook-Seite des Landkreises Stendal.

Das MDR-Fernsehen hat den Aktionstag begleitet und am Donnerstagabend in der Sendung „Sachsen-Anhalt heute“ berichtet. Der Beitrag kann bis voraussichtlich 1. Oktober auch online angesehen werden.